Aus dem «Tages-Anzeiger» vom 3. Juni 2021
Typografie Schriften sind die Kleider unserer Gedanken. Sie lassen Texte mal schlicht, mal schrill auftreten. Redaktorinnen und Redaktoren nennen ihre persönlichen Favoriten.
Courier: Blaumann fur Geistesarbeit
Weshalb denken wir über Schriften nach? Weshalb verführen uns die einen? Wieso schmerzen andere in den Augen? Wieso arbeiten Menschen mit verschiedenen Schriften? Ganz einfach: weil Schriften die Kleider unserer Gedanken sind. Sie lassen Texte nobel auftreten, schrill oder schlicht, und genauso wie die Kleidung, so zumindest meine Meinung, muss man Schriften passend zu Tätigkeit und Anlass wählen.
Welches sind die typografischen Basics in meinem Schriftenschrank? Mit zwei Schriften habe ich mich noch nie blamiert. Courier, hervorgegangen aus einer Schreibmaschinenschrift, ist die erste Wahl für harte Arbeit: so schnörkellos, so ehrlich, so faktisch – ideal, um E-Mails zu tippen, Artikel zu schreiben, Texte zu korrigieren. Ein Blaumann für Geistesarbeit. Gelingt ein Text tatsächlich, verdient er auf Dauer einen Auftritt, womöglich gar auf Papier, dann ist die Egyptienne F, die Serifen-Schrift, entworfen 1956 vom weltberühmten Schweizer Gestalter Adrian Frutiger, auch heute noch die coolste Wahl: Sie vereinigt Eleganz und Autorität – wie ein satt taillierter marineblauer Anzug. Michael Marti
Arial: Die Schrift, die nicht vom Text ablenkt
Arial war lange Zeit die Standardschrift für Microsoft Office (sie wurde dann durch Calibri ersetzt, welche nun wiederum ersetzt wird – fünf neue Schriftarten wetteifern darum, sie zu beerben). Doch der jahrelange Dienst für den biederen Tech-Konzern prägt das Image von Arial immer noch. Die Schrift hat den Ruf, langweilig und träge zu sein. Viele Grafiker verachten sie. Seltsamerweise lieben dieselben Grafiker die Schriftart Helvetica, die mit Arial praktisch identisch ist. Item. Ich bin kein Grafiker. Wenn ich einer wäre, dann würde ich vielleicht mit einer Schrift tippen, die mit kleinen Spinnweben verhangen ist. Oder ist das uncool? Wahrscheinlich schon. Sehen Sie, genau das meine ich: Ich bin ein Schreibarbeiter. Ich brauche eine Schrift, die mich nicht ablenkt und die mich an nichts anderes erinnert als: an Text. Philippe Zweifel
Helvetica: Sie glättet die wirrsten Gedanken
Über meine Helvetica wurden schon viele böse Sachen gesagt. Sie sei die Schrift des globalen Konzernkapitalismus, weil sie so oft für Firmenlogos – BMW, Nestlé, Microsoft – verwendet wird. Sie sei so etwas wie das H & M der Typen, überall eingesetzt und trotzdem nichtssagend, ein Warnhinweis der Konformität. Sieht das Wort Trampolin in Helvetica etwa nach Spass aus? Sieht es nicht, und darum geht es: Helvetica, dieser rasend erfolgreiche Schweizer Weltexport aus den Nachkriegsjahren, schafft den visuellen Lärm weg. Lesbarkeit statt Unordnung, da ist Helvetica ganz Ausdruck der Moderne. Wenn ich die Schriftart benutze – Google Docs bietet die Weiterentwicklung Helvetica Neue an –, komme ich mir nicht originell vor, was ganz entschieden hilft, wenn man einen verständlichen Text schreiben will. In der Geschichte der serifenlosen Schrift strahlt Helvetica ausserdem etwas Vollendetes aus. Manche sehen darin schon fast totalitäre Züge, auch weil die Helvetica so viel Weissraum braucht. Ich aber habe die Schrift lieb gewonnen – weil sie glättet, wenn die eigenen Gedanken noch wirr sind. Also jedes Mal. Pascal Blum
Siefan George: Mix der Schrift des Grosslyrikers
Als Student der Literaturwissenschaften in einem sehr frühen Semester bildete ich mir etwas darauf ein, mit der Stefan-George-Schrift schreiben zu können. Das ist die Jugendstil-Schrift des geniusumwölkten Grosslyrikers (1868–1933), des opaken Dichters von «Komm in den totgesagten Park und schau». Stefan George hatte die Schrift – in Fachkreisen wird sie «St.-G.- Schrift» genannt – für seine Texte weitgehend selber entwickelt. Ich hatte die Schrift extra beim Heidelberger Institut für Textkritik eingekauft; für 50 Franken ist sie zu haben. Ich druckte also Sprüche und Gedichte in dieser Schriftart aus und hängte sie in der Wohngemeinschaft auf. Dies im Glauben, mir dadurch einen gewaltigen Distinktionsgewinn zu verschaffen. Doch das stimmte nicht. Also hörte ich wieder auf damit. Linus Schöpfer
Greta: die Sprengkraft von Lettern
Wenn alles politisch ist, wie gelegentlich behauptet wird, dann gilt das auch für Geschriebenes – und zwar nicht nur inhaltlich, sondern auch formal. Oder mit anderen Worten: Selbst die banalste Botschaft besitzt Sprengkraft, wenn man sie nur in den richtigen (bzw. falschen) Lettern setzt. Wers nicht glaubt, kann seine Einkaufsliste einmal mit dem Jackboot Font formatieren: Selbst die appetitlichen Lebensmittel werden sogleich ziemlich streng nach dem Dritten Reich riechen. Es gibt aber auch positive Schriften: Die Greta Grotesk ist die digitale Variante der Schreibschrift von Greta Thunberg, die anhand ihrer Schulstreik-Plakate entstanden ist und ihrer Botschaft Eindringlichkeit verleiht. Die Gilbert ist eine der ersten bunten Schriften überhaupt – dass die Farbe in der Typografie Einzug gehalten hat, ist übrigens den Emojis zu verdanken – und diese dem amerikanischen Künstler Gilbert Baker, der 1978 die Regenbogenfahne für die Lesben- und Schwulenbewegung entworfen hat und die ebenfalls für Frieden, Aufbruch und Toleranz steht. Und ja, es gibt auch die satirische Typografie: Wenn Sie sich im nächsten Memo ein bisschen über Ihren Chef lustig machen möchten, formatieren Sie es einfach in «Tiny Hand» – ein Font, der Donald Trumps Handschrift nachempfunden ist. Matthias Schüssler
Calibri: Damit lasst es sich leben
Die Suche nach der perfekten Schrift (oder wenigstens einer, die mich optisch nicht in den Wahnsinn treibt) rangiert auf der Liste meiner unlösbaren Lebensziele ganz weit oben. Ich habe schon alle möglichen ausprobiert, stunden-, wenn nicht tagelang Textblöcke markiert und dann Schrift für Schrift durchgeklickt in der Hoffnung, die eine zu finden, die sich endlich richtig anfühlt. Aber bislang waren sie entweder zu plump (Arial) oder zu eingebildet (Times New Roman), die Buchstaben viel zu eng beieinander, zu hochgezogen oder zu ausladend, zu verschnörkelt oder sogar im Normalzustand zu fett. Oder das a sah blöd aus. Und manche Schriften, allen voran Comic Sans, kann man einfach nicht ernst nehmen. Leider muss man sich ja irgendwann trotzdem für eine entscheiden. Leben kann ich aktuell mit Calibri. Aber nur, weil es nicht anders geht. Denise Jeitziner
Frutiger: Die Schrift zum Abheben
Als ich damals mit der Masterarbeit loslegte, war ich schon froh, dass mein Rumpelcomputer es überhaupt heil nach England geschafft hatte. An der Standardschrift, der alten Courier mit ihrem Schreibmaschinen-Look, würde ich nicht herumfingern; Hauptsache, es funktionierte. Später, als ich begann, für Zeitungen zu texten, entdeckte ich, dass die Schrift das Schreiben durchaus anschieben kann. Entsprechen Zeilenlänge und Schriftwahl dem Druck, entsteht ein optischer Denkraum im Kopf: Sätze formen sich im Zeitungsspaltenduktus. So taktete die Times New Roman über Jahre meinen Schreibrhythmus, lang bevor die USA 2004 für diplomatische Dokumente von der Courier New auf die Times New Roman umstellten. Bis ich irgendwann bemerkte: Spaltenvorgabe und Zeitungsoptik nutze ich kaum noch. Onlinetexte haben eh eine andere Formatierung, allmählich denkt man nur noch in Zeichenzahlen. Und Serifen sind fitzelig: Die älter werdenden Augen mögen es lieber leicht lesbar, selbst in kleinen Schriftgrössen – eine Flughafenschrift. Kurz: die Frutiger, die berühmteste Schrift des Berner Typo-Genies. Alexandra Kedves
Comforta: Komfortabel im Grossraumbüro
Es ist immer wieder verblüffend: Da hat man den Text x-mal durchgelesen, nachgefeilt, blank poliert. Aber sobald man ihn umformatiert zu, sagen wir: Comfortaa, sind da wieder Tippfehler. Und Wortwiederholungen. Und holprige Anschlüsse. Und allerlei sonst, was man dann erneut ausmerzt – um beim nächsten Schriftwechsel wieder andere Patzer zu entdecken. Es ist zum Verzweifeln, manchmal. Aber auch äusserst praktisch – vor allem, wenn es wieder einmal schnell gehen muss beim Schreiben. Ein Klick auf eine andere Schrift, ein Wechsel der Spaltenbreite, und schon wirkt der eigene Text wieder so fremd, dass man die Fehler und Haken darin entdeckt. Und das Schönste daran: Die Taktik taugt – im Unterschied zum ebenfalls sehr hilfreichen Lautlesen – auch fürs Grossraumbüro. Susanne Kübler
Er will alles selber machen. Kann ich das Hotel selbst buchen? Er hat sich selber davon überzeugt. Die Guetzli sind selbst gebacken.
Beides ist richtig.
Der Duden meint dazu: «Die Form selbst gehört mehr der Standardsprache oder der gehobenen Sprache an, die Form selber dagegen wird zuweilen als umgangssprachlich empfunden.»
Auch die Schweizer Medien schreiben mal selbst und dann wieder selber, ganz ohne Regel – das scheint man den Journalisten, den Journalistinnen zu überlassen. Oder dem Korrektorat.
Es handelt sich übrigens um ein indeklinables Demonstrativpronomen … 😊